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mein erster hieß Rudi

Seit Kurzem ist er da: mein erster Indoor-Rollator. Weil meine Einschränkungen stetig größer werden, verbreitere ich mein Sortiment an Hilfsmitteln. Mittlerweile auch Indoor. Die Entscheidung dazu fällt mir jedes Mal schwer. Aber die Freude über die Hilfe ist dann doch groß.

Der neue Indoor-Rollator ist weiblich. Ich habe sie Lotte getauft. Als Sympathisantin des SV Werder hat dies freilich nichts mit dem Ort zu tun. Ihr voller Name ist „Flotte Lotte“. Das steht eher im Zusammenhang mit meiner Vorliebe fürs Kochen. Und sie macht mich trotz spastisch verzerrtem Gang am Morgen wirklich flott. Sofort nachdem ich Lottes Aussehen gepimpt hatte, postete ich mehrere Photos von ihr. Im Text dazu schrieb ich: 

„Wer mich kennt, weiß, dass ich alle meine Hilfsmittel benenne.“

 

Die Marotte des Hilfsmittel-Benennens fing an, als ich meinen ersten Gehstock hatte. Damals, schon recht bald nach der Diagnose MS, war mein Gangbild oft bizarr. Für schlechte Momente schaffte ich den Gehstock an. Schwarz, glänzend, hart, zusammenklappbar. Wenn mein Gang schlechter wurde, zauberte ich damals den Stock aus meiner Tasche und ließ ihn mit lautem Knall aufklappen. Die Aufmerksamkeit meiner Umwelt war mir mit dieser Gebärde gewiss.           

‚Wenn se sowieso starren, geb‘ ich ihnen halt noch nen Grund!’           

So war mein Verhalten nach außen. Aber rein für mich selbst, tat ich mir sehr schwer mit diesem ersten Hilfsmittel. Der Stock war ein Fremdkörper. Er gehörte nicht zu mir. Um ihn besser akzeptieren zu können, gab ich ihm einen Namen: Rudi.

 

Als nächstes folgte Kopper. Das war ein Einkaufstrolley, wie er sonst nur von alten Omas benutzt wird. Der Volksmund nennt es „Hackenporsche“. Das fand ich doof. Meiner hieß Kopper. Damals in der Stadt half er mir, den Wocheneinkauf mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erledigen.

Und weil das verdammt gut lief, schaffte ich mir seine kleine Schwester an. Zusammenklappbar (für Wochenendreisen), klein und leicht, niedliches Blumenmuster: die Kopperine.

 

Das Vergeben von Namen für meine Hilfsmittel hat immer auch den Zweck, sie für mich annehmbarer zu machen. Persönlicher. Mein Eigen. Dabei war die Namensgebung bei meinen ersten Hilfsmitteln beliebig.[1] Ich wählte einfach solche Namen aus, die mir für mein jeweiliges Hilfsmittel gefielen.

 

Das änderte sich, als ich meinen ersten Rollstuhl bekam. Der heißt Fiedel. Er ist von der Marke Bischoff&Bischoff, das Model Revolution R2. Deshalb bot sich der Name Fiedel an. Also wegen der Revolution und so. Da er allerdings deutsch ist, schreibt sich sein Name mit „ie“. Sein Bruder ist mein Rollator namens Raoul. Meine Bekannten verwechseln immer mal die Namen der beiden Hilfsmittel. Das ist mir selbst noch „nie“ passiert. So wenig, wie Eltern die Namen ihrer Kinder verwechseln.

 

Anschließend gesellte sich Ingrid zu meiner Hilfsmittel-Familie. Das ist eine Fußheber-Orthese. Sie heißt so wegen den Thesen von Orth. Und dessen Frau. Die Erklärung ist zu lang. Aber es gibt eine!

 

Das erste Hilfsmittel, das ich rein für inne Wohnung angeschafft habe, ist eine Vierpunkt-Gehhilfe. Dieser wurde die Ehre zuteil, von meinem 6-jährigen Sohn benannt zu werden. Nämlich: Mamas halbe Spinne.

 

Und am jüngsten Zweig meines Hilfsmittel-Stammbaumes ist nun Lotte. Willkommen in der Familie!

 

 

 

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[1] Im Germanistikstudium lernte ich einst, dass der Zusammenhang zwischen Bezeichnetem (Signifikat, Zeicheninhalt) und Bezeichnendem (Signifikant, äußere Zeichenform) arbiträr ist. [Vgl. Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft, 2. völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart 1990] 

Fiedel
Fiedel
Flotte Lotte
Flotte Lotte
Mamas halbe Spinne
Mamas halbe Spinne

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