In der neurologischen Fachklinik wurde Rollstuhlsport angeboten. Fakultativ. Täglich eine Stunde am Nachmittag. Thomas, ein Mitpatient,
überredete mich, an dem Kurs teilzunehmen.
Wir kamen einige Minuten zu spät in die Turnhalle. Der Kurs hatte schon angefangen. In der Mitte der Halle spielten zehn Leute im Rollstuhl sitzend Badminton. Der ebenfalls im Rollstuhl sitzende
Trainer sagte im Vorbeifahren zu uns, wir sollten uns jeweils einen Rollstuhl nehmen und mitspielen.
An der Längsseite der Halle standen unzählige Rollstühle. Ich saß damals zum ersten Mal in meinem Leben in einem Rollstuhl. Es fühlte sich ungewohnt, aber okay an. Schließlich würde ich nach der
Sportstunde ja wieder aufstehen können. Ich schaute mir die anderen Teilnehmer an und überlegte:
‚Bei wem ist das wohl auch so? Wer von den zehn Leuten steht nach dem Kurs wieder auf?’
Schließlich kann man niemandem an der Nasenspitze ansehen, ob er „gehfähig“ ist oder nicht.
Viel Zeit zum Grübeln blieb mir nicht. Thomas und ich wurden jeweils in eine Mannschaft aufgenommen und schon ging es wild los. Es machte mir Spaß. Trotzdem ich mich bereits nach einigen
Minuten mit dem Rollstuhl rückwärts überschlug.
schön - schnell - mutig:
schön Rückwärtssalto - schnell aufgestanden - mutig weitergefahren
Nach der Sportstunde sagt der Trainer staunend, ich sei ein Naturtalent.
„Morgen machen wir aber trotzdem bisschen Technik. Heute das war wie ein Stoß ins kalte Wasser.“
„Nee nee“, antwortete ich neunmalklug, „ich habe und brauche ja gar keinen Rollstuhl.“
Der Trainer schaute mich gelassen an und sagte noch gelassener:
„Ja klar. Aber wenn du irgendwann mal einen Rollstuhl brauchst, dann kannste das schon. Brauchste da nicht drüber nachdenken.“
Am nächsten Tag übten wir also verschieden Techniken. Wir lernten zum Beispiel im Rollstuhl sitzend über kleine Hindernisse wie z.B. Bürgersteige zu fahren sowie Steigungen und Abhänge zu
bewältigen. Auch das Befahren von Rampen wurde in dem Kurs geübt. All das machte mir Spaß. So sehr, dass ich mich schon recht bald
zur Rampensau entwickelte.
Anfangs sträubte ich mich gegen den Gedanken, selbst dauerhaft in einem Rollstuhl sitzen zu müssen. Aber dank dieses Kurses verstand ich, dass ein Rollstuhl eben nicht behindert, sondern die
Grenzen für eine gehbehinderte Person erweitert.
Eine meiner liebsten Postkarten aus dieser Zeit trägt den derben Spruch:
Wenn Sie jemand sehen, der an den Rollstuhl gefesselt ist,
binden Sie ihn sofort los!
Meine geänderte, positive Einstellung gegenüber diesem Hilfsmittel und die Aussage des Trainers, dass ich ein Naturtalent sei, spornten mich an: am 11. März 2008 habe ich meinen
Rollstuhlführerschein gemacht. Vor zehn Jahren!
Keep on rollin’ baby
Als ich im Januar 2014 meinen ersten eigenen Rollstuhl anschaffte, tat ich das voller Optimismus. Der Umstand, dass ich nicht mehr sehr weit gehen kann, ist eine Tatsache. Diese Tatsache werde
ich nicht ändern, indem ich endlos über sie jammere. Aber ich kann diese Tatsache hinhalten, indem ich einen Rollstuhl nutze.
Mein Rollstuhl heißt Fiedel. Er ist von der Marke Bischoff&Bischoff, das Model lautet Revolution R2. Deshalb bot sich der Name Fiedel an. Also wegen der Revolution und
so. Da er allerdings deutsch ist, schreibt sich sein Name mit „ie“.
Fiedel und ich haben eine Gelegenheitsbeziehung. Also immer dann, wenn es mir körperlich nicht gut geht, greife ich auf seine Hilfe zurück. Wir haben bislang schon Einiges zusammen erlebt: zum
Beispiel mehrere Festival-Besuche sowie eine Fernreise per Zug. Vom Graben vor der Bühne aus kann man die Bands sehr intensiv erleben. Auf den Rollstuhl-Stellplätzen in Zügen, wo die meisten
Fahrgäste ihre Koffer hinstellen, kommt man sich hingegen eher vor wie auf einer Resterampe. Ein weiteres Thema: Ich finde es großartig, in Fiedel sitzend zu tanzen.
Seitdem ich meinen Rollstuhlführerschein gemacht habe, hat sich freilich Einiges verändert. Heute weiß ich, was ein Kippschutz ist und wie er mich vor dem unfreiwilligen Rückwärtssalto aus dem
Rollstuhl bewahrt. Anfangs bin ich mit meinem Rollstuhl sehr viel getippelt. Mittlerweile sind meine Arme trainierter und meine Beine zunehmend schlapper. Also tippel ich fast nicht mehr, sondern
bewege mich mit Hilfe der Arme statt der Beine fort. Das ist natürlich anstrengend. Und je nach Bodenbelag und Steigung bin ich dankbar, wenn ich geschoben werde. Aber dennoch macht es oft Spaß!
Gerne übe ich auch kleine Tricks. Momentan schaffe ich es, auf den beiden Hinterrädern meines Rollstuhls 6m zu fahren und eine 160°-Drehung zu machen. Quasi ein Rolli-Wheelie mit
halber Pirouette ;-) Cool. Aber anstrengend. Respekt vor allen Sportlern der Paralymics.
To be continued …
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