mein Ergometer (2008)

Die Physiotherapeutin hat Anja empfohlen, täglich Sport zu treiben. Am Besten seien Ausdauersportarten wie Laufen, Schwimmen und Fahrrad-fahren. Anja kann zu dem Zeitpunkt (2008) aber schon nicht mehr wirklich gut gehen - geschweige denn laufen. Fahrrad-fahren vermag sie ob der Gleichgewichtsprobleme nicht mehr. Und gegen das Schwimmen sprechen Anjas größer werdende Störungen der Bewegungskoordination.

„Das würde an das ‚Ministerium für dumm gelaufen‘ erinnern - Monty Python’s Ministry of Silly Walks“, ulkt Anja.

 

Die Lösung: ein Ergometer. In Form eines Liegefahrrades. Das Gerät stellt Anja ins Wohnzimmer. Täglich tritt sie 30 Minuten in die Pedale. Und oft versüßt sie sich diese Zeit dadurch, dass der Fernseher läuft und sie sich - wie sollte es anders sein - während des Sportelns eine Kochsendung ansieht.

Anja tut die tägliche Bewegung gut. Zudem macht es ihr sogar Spaß. Früher - vor ihrer MS-Diagnose - hat sie eher die Meinung vertreten: Sport ist Mord. Aber seitdem ihre Behinderung stetig größer wird, findet sie immer mehr Gefallen am Sporteln.

Obwohl …

 

Als Anja mal wieder auf ihrem Ergometer strampelt, klingelt ihr Handy. Sie ist erst seit 10 Minuten gefahren, das Handy liegt auf dem Wohnzimmertisch. Neugierig darauf, wer sie wohl anruft, hält Anja das Ergometer-Programm an und geht zum Tisch. Im Display ihres Handys liest sie, dass ihre Physiotherapeutin anruft. Die beiden Frauen sind privat miteinander befreundet.

Freudig nimmt Anja den Anruf an. Gleichzeitig dreht sie sich wieder um Richtung Ergometer und möchte während des Telefonierens weiterradeln. Aber dann: Anjas Gleichgewicht macht Pause. Sie fällt mit voller Wucht. Im Versuch sich an irgendetwas festzuhalten, streckt sie ihre Arme nach vorne. Aber da ist Nichts. Anja schrammt mit den Unterarmen an der Raufasertapete herunter und landet hart auf dem Ergometer.   

 

KRACK

 

Die Hartplastikteile des Displays zersplittern, die metallene Halterung der Digitalanzeige verbiegt sich. Anja liegt benommen halb auf dem Gerät und halb auf dem Fußboden. Das Handy ist neben ihr auf dem Boden gelandet. Daraus ist die besorgte Stimme der Physiotherapeutin zu hören:

„Hallo??? Anja??? Was ist denn bei Dir los?“

Völlig derangiert ist Anja nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Stattdessen drückt sie auf den roten Knopf.

 

Ihr Ergometer besitzt Anja aktuell noch immer, das Gerät weist sichtbare Spuren auf: Das Plastik rund um die Digitalanzeige ist mit Klebeband geflickt; Die verbogene Metallhalterung erinnert stets an diesen Sturz. Einzig die Blutspuren hat Anja rückstandslos von der Tapete putzen können.