„Wie lange dauert das denn noch?“
Eine meiner negativen Eigenschaften ist Ungeduld. Das hab ich vorgestern mal wieder schmerzlich gemerkt.
Ich hatte am Mittwoch einen super Vormittag. Als ich mittags nach Hause kam, brachte ich schnell den Einkauf in meine Wohnung im ersten Stock. Anschließend wollte ich in den Wintergarten gehen, um dort eine Zigarette zu rauchen und die Post durchzusehen.
Direkt hinter meiner Wohnungstür ist eine 15-stufige Treppe. Die ersten drei Stufen ging ich.
ABER DANN:
Mein linkes Bein knickte ein und weg. Das geschah so schnell und plötzlich, dass ich mich an keinem der beiden Handläufe festhalten konnte. Die restlichen zwölf Stufen passierte ich rollend.
AUA!!!
Obwohl so ein Sturz nur wenige Sekunden dauert, schossen mir mehrere Gedanken durch den Kopf. Zuerst dachte ich (fast schon entrüstet):
„Och nö!!“
Als nächstes und während ich treppenstufenweise von einer auf die andere Körperseite schlug, dachte ich verärgert und genervt:
„Wie lange dauert das denn noch?“
Die Antwort wusste ich, als mein Körper hart auf dem Fliesenboden aufschlug. Dort lag ich also. Um mich rum lagen die Kleinigkeiten, die ich von der Wohnung in den Wintergarten hatte mitnehmen wollen: eine Trinkflasche, mein Handy, zwei Briefe. Kleinigkeiten, die ich in einer Hand tragen kann (seit einiger Zeit habe ich immer zumindest eine Hand frei, wenn ich Treppen gehe, damit ich mich am Handlauf festhalten kann).
Also den Kopf konnte ich dort am Boden liegend heben und drehen. Kein Genickbruch. Super!!
Ich kroch einige Zentimeter vor, um mich am Geländer hochzuziehen. Das war mega anstrengend und ging sehr langsam vonstatten, aber es funktionierte. Ich konnte stehen. Super!
Nachdem ich mich aufgerappelt hatte, blickte ich in den Hausflur. Eigentlich war ich allein im Haus. Tatsächlich saß eine der beiden Katzen auf dem Teppich im Flur. Sie schaute mich erschrocken-aufmerksam an.
„Tja, das hast du wohl noch nie gesehen.“
Mir tat alles weh. Scheiße stark weh. Erst im Nachhinein ist mir klar geworden, dass ich durch meinen Treppensturz quasi unter Schock stand. Außer dem riesigen Schmerzgefühl hatte ich keine Emotionen. Nicht mal heulen musste ich.
Dieser Schock-Zustand hielt noch einige Stunden an. Am frühen Abend kochte ich für die Familie Abendessen. Danach ging ich ins dörfliche Lokal zum Frauenstammtisch. Alles mit Schmerzen. Erst am späten Mittwochabend kam ich zur Besinnung.
Am Donnerstagmorgen machte meine Mutter meinen Sohn für die Schule fertig und versorgte ihn mit Frühstück. Ich leckte derweil meine Wunden, wurde mir über das Ausmaß bewusst. Gebrochen hatte ich mir durch den Treppensturz zwar nichts. Aber mein Körper war grün, blau und rot. Quasi überall.
Anschließend fuhr meine Mutter mich zum Arzt. Im Behandlungszimmer machte ich mich bis auf die Unterwäsche nackisch. Dann half ich dem Arzt zu sortieren, welche Hämatome „alt“ (von meinem Sturz vor zwei Wochen in Mainz) und welche „frisch“ (von meinem Treppensturz) sind. Der Allgemeinmediziner nahm ein Diktiergerät zu Hilfe, um die Verletzungen zu dokumentieren.
„Das kann ich mir nicht alles merken.“
- oberhalb beider Kniescheiben sind dicke grün-blaue Beulen
- an beiden Oberarmen sind großflächige Hämatome (links ca. 15 cm lang)
- auf dem Rücken habe ich mehrere blaue Flecken
- beide Schulterblätter sind blau-grün
- meinen linken Oberschenkel ziert ein lilafarbener Pferdekuss
- die rechte Schulter ist geprellt
- der linke Fußrücken ist aufgeschürft und mehrfarbig
- die Hände und Unterarme sind malträtiert
- über meiner Stirn, direkt hinter dem Haaransatz, habe ich eine oblonge Beule
Nach der ärztlichen Fleischbeschau ging ich in die Apotheke.
„Guten Morgen. Ich bin gestern eine Treppe runtergefallen. Mein Körper ist ein einziges Hämatom. Der Arzt hat mir eine Schmerzsalbe empfohlen.“
Später war meine Mutter diejenige, die mir beim Einbalsamieren mit Heparin und Diclac half.
Mein Hausarzt hat mir allerdings noch etwas anderes empfohlen. Nämlich den Einbau eines Treppenliftes in Erwägung zu ziehen. Und dann endlich war er da: der Moment, in dem mir zum Heulen zu Mute war.
„Ist es wirklich schon so weit?“
Am liebsten möchte ich diese Notwenigkeit verdrängen. Klar ist jedoch: seit dem Sturz habe ich Angst, die Treppe in meine / aus meiner Wohnung zu gehen. Und sobald ich die Augen schließe, sehe ich vor meinem inneren Auge den Moment, in dem ich falle. Der Moment, in dem sich alles in der Wirklichkeit vor mir rollend überschlägt.
Wie war das noch? Jedes Ding hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische Seite.
- das Positive an meinem Treppensturz: Ich habe verdammt viel Glück gehabt! Mein verpennter Schutzengel hatte wohl keine Mittagspause. Sonst wäre es schlimmer ausgegangen.
- das Negative: Noch 24 h nach dem Treppensturz konnte ich aufgrund der geprellten rechten Schulter den Arm nicht heben, keinen Stift halten und nicht schreiben. Horror für mich! Jetzt klappt es schon wieder.
- das Komische: Abends nach meinem Sturz hatte ich eine Hackfleisch-Mangold-Roulade gekocht, mit der ersten Ernte meines selbst angebauten Mangolds (das war sicherlich nicht vernünftig und ich hatte Schmerzen dabei; aber ich kann ein Starrkopf sein - schließlich hatte ich mir das für den Abend vorgenommen und auch bereits dafür eingekauft). Als meine Mutter sich während des Abendessens nach den Details meines Treppensturzes erkundigte - ob „ausrutschend“ oder „überschlagend-rollend“ - kamen wir lachend überein:
„Heute ist Rouladen-Tag!“