„Ach, Sie wissen es noch gar nicht?“
Mein sonst so lustiger Hals-Nasen-Ohrenarzt sah mich verunsichert und gleichzeitig betrübt an. Es war der 9. Juni 2006. Drei Wochen zuvor hatte ich plötzlich heftige Schwindelattacken gehabt. Über den sonntäglichen Notdienst kam ich zu meinem HNO. Der wiederum hatte mich zur Ursachensuche ins MRT geschickt. Am 9. Juni sollte ich in seiner Praxis vorstellig werden, um den MRT-Bericht zu besprechen. Nichts ahnend und nichts Negatives vermutend ging ich damals zu dem Termin. Mein HNO nahm an, dass der Radiologe mir bereits die Verdachtsdiagnose Multiple Sklerose mitgeteilt hatte. Dem war allerdings nicht so.
Eigentlich hatte ich mich auf den Termin gefreut. Seit gut zwei Jahren hatten meine häufigen Mandelentzündungen, danach die Operation und schließlich die Nachsorge mich und den HNO verbunden. Bei den Arztterminen gestaltete sich das Medizinische zwar zu einer sorgsam erledigten aber doch nebensächlichen Pflicht. Meist plauderten der Arzt und ich über die jeweils eigene Studentenzeit. So waren die Termine immer recht kurzweilig und lustig. Deswegen hatte ich mich auf den Termin am 9. Juni 2006 gefreut. Zudem sollte der Termin für mich eine kurze Auszeit von den Vorbereitungen meiner Abschlussprüfung sein.
Tatsächlich saß mein HNO wie ein Häufchen Elend hinter seinem Schreibtisch. Er tat sich überaus schwer, mir die Verdachtsdiagnose mitzuteilen. Der HNO redete und redete. Schließlich zeichnete er nervige Details auf einem Whiteboard.
Ich verstand nur wenig. Und ich war irritiert. Mein HNO machte auf mich den Eindruck, als würde er gleich weinen. Also fing ich an, ihn zu trösten.
„Naja, das ist doch nicht so schlimm. Ich werde da ja nicht dran sterben.“
“DOCH! Das ist schlimm!“
Mein HNO herrschte mich an. Seine Unsicherheit schlug in Wut um. Wut auf sich selbst.
Heute denke ich: zu Recht! Und es macht mich selbst beinahe wütend, wenn ich mich an die Situation erinnere. Es ist unglaublich, dass ein ausgebildeter Arzt kaum in der Lage ist, mit seiner Patientin einen Befundbericht zu besprechen. Und mehr noch: Seine Patientin emotional aufzufangen. In diesem heiklen Moment eine Stütze für sie zu sein.