Nach 12 ½ Jahren hatte ich es schon weit gebracht in meiner MS-Karriere. Medikamentös befand ich mich auf der Eskalationsstufe. Weil bis 2015
keines der normalen Medikamente meine MS positiv beeinflusst oder gar die Behinderungs-Progression aufgehalten hat, wurde mir zu heftigeren Medikamenten
geraten. Die Medikamente auf dieser Eskalationsstufe haben allesamt gemein: Sie gelten als äußerst wirksam, zugleich haben sie unerfreuliche Nebenwirkungen. Das wären zum Beispiel Erblinden,
Krebs (insbes. Brustkrebs), schwerste Behinderungen oder auch Tod. Durch regelmäßige Kontrollen soll gewährleistet werden, dass im Fall der Fälle schnell reagiert und somit die unerwünschte
Nebenwirkung gestoppt wird. Die Kontrollen werden von Fachärzten für Radiologie, Augenheilkunde und Gynäkologie durchgeführt. Zusätzlich kontrolliert der Hausarzt regelmäßig die Blutwerte.
April 2018 - Freitag, der 13. - 12:52
Mein Telefon klingelt. Am anderen Ende der Leitung meldet sich mein Hausarzt.
(Einen Tag zuvor hatte ich routinemäßig eine Blutuntersuchung.)
Mein Hausarzt schlägt Alarm. Er erklärt, dass die Ergebnisse der Blutuntersuchung mehr als besorgniserregend seien. Die absolute Zahl der Lymphozyten sei relativ viel zu niedrig. Schlimmstenfalls
drohe mir eine Lymphopenie. Ich solle mein MS-Basismedikament sofort absetzen und mit meinem Neurologen das weitere Vorgehen besprechen.
April 2018 - Freitag, der 13. - 12:59
In der Praxis meines Neurologen ist bereits der Anrufbeantwortet angeschaltet. Also rufe ich in dem Krankenhaus an, wo ich auch neurologisch betreut werde. Die Sekretärin sagt, dass der Chefarzt
der Neurologie nicht im Haus sei. Sie stellt meinen Anruf zur Stationsärztin durch. Allerdings bekomme ich von der Stationsärztin nur eine provisorische Auskunft fürs Wochenende. Tatsächlich
entscheiden über das weitere Vorgehen könne nur der Chefarzt. Der sei am Montagmorgen telefonisch wieder erreichbar.
Grrrmph …
Ein wirklich toller Freitag, der 13.!
Trotzdem: an diesem Wochenende schraube ich den Schreck weitestgehend runter. Mache mich nicht komplett verrückt und panisch. Weil schließlich: ganz so schnell stirbt es sich ja doch nicht.
Und am Montagmorgen wird dann ja die weitere Vorgehensweise kompetent mit mir besprochen. Ich habe meiner Hilflosigkeit das Vertrauen in den Halbgott in Weiß entgegengesetzt.
Endlich: Montagmorgen, 8:00:05
Die Sekretärin der neurologischen Ambulanz verbindet mich sogleich mit dem Chefarzt. Ich erkläre ihm kurz und bündig mein Problem. Und bekomme als schroffe Antwort:
„Das nervt, dass Sie grad anrufen. Ich bin in der Morgenbesprechung.“
Tut … tut … tut
Der Arrogante ist definitiv die unglaublichste Arztäußerung, die mir bislang in meiner MS-Karriere gesagt wurden. Ich musste mir von diversen Ärzten schon viele Dreistigkeiten und
Frechheiten anhören. Ich weiß, dass die meisten Ärzte emotional unfähig sind. Dennoch: auf meine Angst um Leib und Leben mit der Aussage „das nervt“ zu reagieren, ist wirklich unfassbar.
Aber wahr.