Nach der Verdachtsdiagnose, die mir mein HNO mitteilte, konsultierte ich eine Neurologin. Diese setzte die Termine für die beiden noch ausstehenden Diagnoseuntersuchungen an. Außerdem riet sie mir zu einer Kortisonstoßtherapie. Sie begründete es damit, dass ich damals aktuell einen Schub gehabt hätte. Darüber hinaus riet mir die Neurologin, möglichst schnell (nachdem die Diagnose MS sichergestellt sei) eine Therapie mit einem dauerhaften Basismedikament anzufangen.
Das war zu viel für mich. Ich hatte damals noch kaum begriffen, dass ich eine Krankheit habe, die den Rest meines Lebens bestimmen würde. Und ich redete mich froh mit dem Gedanken, dass „meine MS“ bestimmt einen milden Verlauf haben würde. Deswegen wollte ich keine heftigen schulmedizinischen Medikamente. Stattdessen setzte ich meine Hoffnung in alternative Methoden. Dazu gehörte auch eine 3-tägige Therapie, der ich mich in einer luxuriösen Privatklinik unterzog.
Juli 2006: Zu Beginn des Klinikaufenthaltes begutachtete der Chefarzt der Privatklinik mich und meine medizinischen Unterlagen. Er saß hinter seinem pompösen Schreibtisch und hielt die MRT-Aufnahmen meines Schädels vor sich. Abwechselnd blickte er auf die großformatigen Bilder und auf mich. Hin - her, hin - her, hin - her.
Schließlich sagte er: „Das ist ja erstaunlich!“
Verwirrt fragte ich: “Was ist erstaunlich?“
“Es ist erstaunlich, dass Sie bei dieser großen Anzahl an Läsionen nicht mehr Ausfälle haben. Wirklich ERSTAUNLICH!“
“Ich finde das ERFREULICH!“
Frechheit!! Das war das erste von diversen vielen Malen, in denen ich zum medizinischen Objekt degradiert wurde. Ein Beispiel dafür geschah mir während eines Krankenhausaufenthaltes im Juli 2018. Zu Beginn führte eine Assistenzärztin die üblichen neurologischen Untersuchungen durch. Quasi zur Bestandsaufnahme. Als die Ärztin meine Fußsohlen berührte, zuckten meine Arme unwillkürlich in die Höhe. Während ich genervt von dieser weiteren Fehlfunktion meines Körpers war, reagierte die Ärztin begeistert.
„Das ist ja … oh … ähhh … darf ich noch mal?“
Die Assistenzärztin wurde nicht müde, diese Reaktion wiederholt auszulösen. Am nächsten Tag schleifte sie den Oberarzt an mein Bett, um ihm diese Entdeckung zu zeigen. Ich lag auf meinem Bett, die beiden Ärzte strichen immer wieder über meine Fußsohlen und unterhielten sich miteinander über die darauffolgende Bewegung meiner Arme. So als wäre ich ein erstaunliches, medizinisches Objekt. Und so, als wäre ich gar nicht anwesend. Im Entlassungsbrief stand nüchtern: „Reflektorische Bewegungen der oberen Extremitäten bei Berührung von Fußrücken und Babinskitestung.“